Heute möchten wir Euch einen ganz besonderen Nachhaltigkeits-Pionier und Wendemacher vorstellen: Gunter Pauli. Er ist nicht nur Autor, Vortragender und Pädagoge, sondern auch Unternehmer und Verkäufer. Gunter Pauli ist ausserdem Gründungsvater der “Blue Economy”. Wie das alles zusammenpasst? Genau das wollten wir auch wissen und haben deshalb ein schriftliches Interview mit ihm eingefädelt. 

GUNTER PAULI’S THEORIE DER “BLUE ECONOMY”

FfdE: Thema des diesjährigen Weltumwelttages ist “Green Economy”. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) definiert “Green Economy” als eine Wirtschaftsweise, die “menschliches Wohlergehen steigert und soziale Gleichheit sicherstellt, während gleichzeitig Umweltrisiken und ökologische Knappheiten erheblich verringert werden”. – Wie unterscheidet sich nun die Theorie der „Blue Economy“ zur „Green Economy“?

GP: „Blue Economy“ entwickelt Geschäftsmodelle, die billigere und bessere Produkte und Dienstleitungen für alle anbieten, also besser für die Natur und besser für die Menschen. Wir finden, „öko“ sollte nicht teuer, sondern erschwinglich sein für jedermann. Wie machen wir das? Wir versuchen, von der Natur zu lernen. Die Natur ist ja eigentlich der effizienteste Wirtschafter, den wir haben. Denn im Ökosystem gibt es zum Beispiel keinen Abfall und keine Arbeitslosen. Jeder trägt so zum System bei, wie er das eben kann und so bauen wir gemeinsam soziales Kapital auf. Wir finden, die Wirtschaft sollte wieder mehr in Kreisläufen und Systemen denken. Wir möchten Abfälle und so weiter als Ressourcen ansehen. Wir sollten auch verschiedene Symbole der modernen Gesellschaft, die inakzeptabel verschmutzend sind, einfach eliminieren und durch andere Systeme ersetzen, wie zum Beispiel die Batterie, wovon wir dank einer vernünftigen Anwendung von Naturkräften 40 Milliarden jedes Jahr in die Umwelt verbreiten. Wir (die „Blue Economy“) schlagen vor, dass man alle Grundbedürfnisse der Menschen sicherstellen kann mit dem, was lokal zur Verfügung steht. Wir reden nicht über Knappheit. Wir sind überzeugt, dass es eher eine Grundsatzfrage ist, ob wir bereit sind, mit dem zu arbeiten, was zur Verfügung steht. Und ja, soziale Gleichheit ist wichtig, aber wir müssen auch Mehrwert schaffen und dazu braucht es gute Unternehmer.

FfdE: Wichtiges Thema der „Blue Economy“ ist Innovation. Wie definieren Sie Innovation und wie kann man Innovation lernen?

GP: Eine Innovation ist nicht nur ein technischer Durchbruch, sondern auch ein neues Geschäftsmodel. Wir sollten nicht weiterhin so wirtschaften, wie wir es die letzten 50 Jahre schon gemacht haben, nämlich auf der Basis vom Kerngeschäft und von Kernkompetenzen. Sondern wir müssen andere Konzepte entwickeln und durchführen.  Wir (die „Blue Economy“) haben uns vorgenommen, alle Innovationen, die wir kennenlernen, als eine Art „open source“ zur Verfügung zu stellen (siehe www.blueeconomy.de; eine Plattform mit Kontakten und Beispielen von Innovationen). Innovationen sollten ausserdem praxisnah und wirtschaftlich lukrativ sein. Denn die Menschen werden neue Innovationen nur dann umsetzen,  wenn es für sie kein Verzicht ist.

FfdE: Mit der „Blue Economy“ wollen Sie günstige Produkte produzieren,  Arbeitsplätze schaffen und damit auch noch die Welt verbessern. Können Sie uns anhand eines Beispiels erläutern, wie das möglich ist?

GP: Sie trinken Kaffee? Ja? Wussten Sie auch, dass 99,8% der Biomasse von Kaffee als Müll betrachtet wird? Um diese Biomasse sinnvoll zu nutzen und nicht einfach zu verbrennen, züchten wir tropische Pilze auf der Basis von Kaffeeabfall. Wenn wir alle Kaffeeabfälle Europas einsetzen würden, hätten wir die Chance, allein in Europa 50‘000 Arbeitsplätze zu schaffen und wir könnten ausserdem Qualitätspilze billiger anbieten und so gesundes Essen billiger machen. Es gibt so viele Beispiele, dass ich mich darüber wundere, was wir wohl brauchen, um diese Ignoranz zu beseitigen? Deswegen habe ich während den letzten zwei Jahren, in Zusammenarbeit mit der Blue Economy Equipe in Berlin, jede Woche fast 100 solcher Beispiele vorgestellt.

 

GUNTER PAULI’S ZERI-STIFTUNG

FfdE: Was genau macht die ZERI-Stiftung und was ist dabei die Rolle von Gunter Pauli?

GP: Die ZERI Stiftung ist ein Netzwerk. Stellen Sie sich bitte kein grosses Büro mit viel Personal vor. Es ist eher eine Vernetzung von engagierten Menschen, die nach einem Training (von Gunter gegeben) mitarbeiten, um lokal konkrete Initiativen durchzuführen. Es gibt heute 27 Projektteams, die sich entweder mit weiterführenden Ausbildungen oder mit der Durchführung von Initiativen beschäftigen. Gunter Pauli ist als Initiator aktiv, um die Vernetzung der Leute zu unterstützen, zum Beispiel mit neuen Innovationen oder neuen Geschäftsmodellen, die in der Praxis irgendwo in der Welt umgesetzt werden. Die Hauptrolle von Gunter ist also Katalysator – oder sollen wir ihn als ein Enzym betrachten?

FfdE: Gibt es auch in der Schweiz erfolgreiche Beispiele, die von der ZERI unterstützt wurden und über deren Ideen wir reden sollten?

GP: Die ZERI Stiftung wurde 1996, in Zusammenarbeit mit der UNDP, in Genf gegründet. Wir hatten am Anfang auch ein Büro bei der UNDP im „la Maison de l’Environment“ (International Environment House). Aber wir haben nur Projekte ausserhalb der Schweiz aufgebaut. Im Jahre 2000 wurde uns dann aber klar, dass die administrativen Kosten zu hoch waren. Also lösten wir das Büro in Genf wieder auf und gründeten mit denselben Geldern, ebenfalls zusammen mit der UNDP, ein Büro in Windhoek, Namibien – dort aber mit dreimal so viel Personal. So haben wir leider in der Schweiz nie konkret etwas getan. Es gab Gespräche mit Nestlé, um die Pilzzucht auf Kaffeeabfall weltweit zu fördern, aber leider wurde ja entschieden, alle Abfälle zu verbrennen.

FfdE: Welche Fähigkeiten muss eine Person mitbringen, um Social Entrepreneur zu werden?

GP: Ich mache keinen Unterschied zwischen einem Social Entrepreneur und einem anderen Entrepreneur. Der Entrepreneur von heute und morgen sollte immer sozial UND nachhaltig UND wettbewerbsfähig sein. Warum sollte sich jemand als ein Entrepreneur beschreiben, der NICHT sozial ist…? Und wie kann sich jemand sozial einsetzen, ohne die Finanzierung durch Einnahmen langfristig und unabhängig sicherzustellen? Dann kann der Entrepreneur die Sozialleistungen auch nicht garantieren und es ist ein Risiko für die Bevölkerung, die dann abhängig wird von diesen Leistungen.

 

DIE PERSON GUNTER PAULI

FfdE: Gunter Pauli ist nicht nur Autor, Vortragender und Pädagoge, sondern auch Unternehmer und Verkäufer. Wie passt das alles zusammen und wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?

GP: Ja, gleichzeitig funktionieren als Autor, Pädagoge und Unternehmer geht ja nicht. Aber in meiner 40-jährigen Karriere habe ich verschiedene Metamorphosen durchgemacht. Heute betrachte ich mich gar nicht mehr als ein Unternehmer, der mit Energie und Kraft neue Wellen schafft, heute bin ich eher derjenige, der neue Wellen in der Gesellschaft spürt und dann wie ein Surfer neue Initiativen aufbaut, entweder im Bereich der Ausbildung, der Geschäftsführung oder als Schriftsteller.

FfdE: In einem Interview haben Sie sich selbst einmal als „Kick-Geber“ bezeichnet. Was ist damit gemeint und an wen richten sich diese „Kicks“?

GP: KITA heisst auf English „A kick in the A…“. Ab und zu muss man mal ganz deutlich zeigen, welche unglaublichen Möglichkeiten es gibt. Denn auch wenn man dies immer wieder mit Beispielen und Fallstudien aufzeigt, bleibt der Mensch oft in seiner „temperaturkontrollierten“ Welt, ohne zu spüren, dass es hier und jetzt eine Chance gibt. Dann muss man die Leute herausfordern und auch mal unbequem sein, sodass man anfängt zu denken und zu tun. Dieses Konzept funktioniert sehr erfolgreich.

FfdE: Welcher ist Ihr persönlicher Lieblingsfilm?

GP: Farinelli. Die Musik, die Herausforderung, die Leidenschaft und die Liebe. Ich spiele diese hervorragende Musik jeden Tag.

 

RESSOURCE MENSCH

FfdE: Das Thema unseres diesjährigen Festivals ist „Ressource Mensch“. Wir möchten aufzeigen, dass unser Mut und unsere Integrität eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt ist. Wie stehen Sie zu diesem Thema? Wie kann man Mut und Integrität Ihrer Meinung nach fördern?

GP: Wir müssen damit anfangen, kleinen Kindern Geschichten zu erzählen. Wie die Geschichte vom Walfisch, der 6 bis 12 Volt Elektrizität produziert, um 1‘000 Liter Blut durch seine 175 Millionen Kilometer Venen und Arterien zu pumpen. Und das sein ganzes Leben lang – ohne Akkus, ohne Atomkraft oder Öl! So sieht das Kind etwas, das niemand sonst in seiner Umgebung von Erwachsenen versteht oder als eine Realität ansieht. Es gibt ein Dutzend solcher Beispiele und damit wird Mut und Vision aufgebaut. Aber wichtiger ist die Integrität, weil unsere moderne Gesellschaft hat eine doppelte Moral: Ein Dieb, der verspricht, dass er weniger stehlen wird, geht ins Gefängnis. Aber ein Unternehmen, das 80% weniger Giftabfall produziert, bekommt einen Umweltpreis. Wieso? Ich glaube, dass wir verstehen sollten, dass weniger Schaden immer noch ein Schaden ist. Also sollte es nicht unser Ziel sein, weniger Schlechtes zu tun, sondern mehr Gutes zu tun.

FfdE: Sie sagten einmal ein einem Interview „Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf dem Planeten mit einem Konzept von Mangel“. Was läuft denn bei uns Menschen falsch und wie können wir als Einzelne diesen Fehler auskorrigieren?

GP: Die Natur – unsere Ökosysteme – beginnt immer mit sehr beschränkten Ressourcen. Aber Dank der Evolutionskraft schaffen sie es immer wieder, sich weg vom Mangel, hin zu „genügend“, sogar bis hin zum Überfluss zu entwickeln. Der Markt und die Marktwirtschaft funktionieren nur, wenn es Mängel gibt. Solange wir also nicht in der Lage sind, “genügend” als Ziel zu definieren, werden wir abhängig bleiben von einer Marktwirtschaft, die nicht in der Lage ist, Umweltbedingungen einzubauen in unsere Entscheidungen, weil die Akteure nur getrieben werden von Kosten bzw. Marginalkosten (wie viel sparen wir ein wenn wir immer mehr herstellen von einem standardisierten Produkt). Wer hat die Logik erfunden?


ZUKUNFT

FfdE: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Welt aus? Was ist Ihr grösster Wunsch für die Zukunft?

GP: Grösster Wunsch: Dass wir alle gesund und glücklich sind. Mehr sollte man nicht erwarten.

FfdE: Wie sieht die Zukunft von Gunter Pauli aus?

GP: Keine Ahnung. Aber die nächsten fünf Jahre werde ich mich zu 90% auf die Produktion von 365 Kindermärchen konzentrieren, ein Märchen für jeden Tag. Die grössten Herausforderungen – innovative Konzepte, Einblicke in die Wissenschaften, die Chance, selbst einen Unterschied zu machen – ja, diese werde ich gerne aufnehmen und danach – das werden wir dann sehen. Ich bin sehr flexibel, mich an das anzupassen, was das Universum noch für mich bereit hat.

FfdE: Sie möchten in Zukunft vor allem Kinder und Jugendliche ausbilden – gibt es bald „Blue Economy“ als Schulfach?

GP: Nein – wir sollten nicht ein extra Schulfach haben. Wir sollten das ganze Ausbildungssystem ändern! Wir sollten vorschlagen, dass die Kinder die besten Punkte bekommen, wenn sie in der Lage sind, dem Lehrer Fragen zu stellen, worauf er keine Antwort hat. Wenn die Kinder wissen, dass diese Herausforderung an der Basis der Ausbildung steht, dann werden die Kinder sehr viel lernen. Denn das, was der Lehrer weiss, steht schon längst im Internet!

FfdE: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft!

Kommentar FfdE: Übrigens, wenn jemand von Euch eine gute, innovative Geschäftsidee hat, die in das Konzept der Blue Economy passt, schreibt Gunter eine Mail (pauli (at) zeri.org), er schreibt schnell und immer zurück (wir haben das selber erlebt)!

Mehr Informationen findet Ihr unter folgenden Links:

Gunter Pauli:  http://www.gunterpauli.com/

„Blue Economy“: http://www.blueeconomy.de/ 

ZERI-Stiftung: http://www.zeri.org/ZERI/Home.html 

Gunter Pauli in Action: http://www.youtube.com/watch?v=jOK0UIigcus

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