Wer sein Leben geniessen und trotzdem umwelt- und klimakompatibel leben will, muss nicht verzichten – wohl aber Prioritäten setzen.
Der beste Naturschützer ist der, der nicht in die Natur geht. So oder ähnlich lautet das Argument, das oft herangezogen wird, um bergsteigenden Alpenschützer*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aus einer wenig ganzheitlichen Perspektive mag dies auch so sein. Bergsteigen heisst zunächst einmal zum Berg kommen und das ist mit einer nicht zu leugnenden Umweltbelastung verbunden. Wie man es dreht und wendet, auch wenn man sich noch so sehr bemüht, nur öffentliche Verkehrsmittel nutzt, Wildschutzzonen berücksichtigt, vor Ort einkauft und was der umweltbewusste Bergfex noch alles in Petto hat: Der ökologische Fussabdruck des Couchpotato bleibt kleiner. Am besten ist also, wir hören einfach auf mit der Bergsteigerei, kaufen uns eine Playstation und freuen uns an der erhaltenen Wildnis da draussen – irgendwo da ist sie ja, sagt man zumindest.
Neue Perspektive, neues Denken
Betrachtet man die Bereiche, in denen der Mensch auf seine Umwelt einwirkt, Freizeit, Arbeit, Wohnen, Kindererziehung, politische Entscheidungen…. – isoliert voneinander, mag die Couchpotato-Hypothese stimmen. Doch wer ganzheitlich denkt, muss sie hinterfragen. Mittlerweile gibt es diverse Untersuchungen, die sich mit den Biographien und Beweggründen von Umweltaktivist*innen befassen. Die Ergebnisse zeigen eine Tendenz: Wer (in der Kindheit) Natur- Erfahrungen gesammelt hat, ist auch eher bereit, sich im Umwelt- und Naturschutz zu engagieren. Studien hin oder her: Gestalten Menschen, die einen direkten Kontakt zur Natur pflegen, ihr Leben tatsächlich eher zu Gunsten der Natur?
Der Geograf und Sportwissenschaftler Tim Marklowski (31) liebt an den Bergen vor allem ihre “Echtheit”. Dafür setzt er sich in seiner Wahlheimat Bern ein – als Projektleiter Bergsport bei mounntain wilderness.
Wenn man anerkennt, dass Lebensbereiche sich gegenseitig beeinflussen, zwischen ihnen keine scharfen Grenzen existieren und dass der Mensch ganzheitlich zu betrachten ist, dann wirkt sich die Erfahrung aus einem Lebensbereich möglicherweise auf das Verhalten in einem anderen aus. Wirkt sich also die Naturbeziehung der Menschen auf die Erziehung ihrer Kinder aus? Oder auf ihr Wahlverhalten? Darauf, ob sie angesichts drohender Staumauern in den geliebten Bergen den eigenen Ressourcenbedarf überdenken oder sogar einschränken? Vielleicht beeinflusst ja das Dauergrinsen an einem der (seltener werdenden) Powderdays die anstehende Berufswahl des Schulabgängers oder die Entscheidung der Managerin? Vielleicht bringt einen die ernüchternde Erfahrung schwindender Gletscher und grösserer Bergschründe dazu, sein Leben klimafreundlicher zu gestalten, beispielsweise öfter auf den Flugurlaub zu verzichten? Sodass die Bilanz am Ende trotz – oder gerade wegen – der Bergfahrten besser ausfällt.
Wer Naturerfahrungen sammelt, ist eher bereit, sich im Umweltschutz zu engagieren.
Die Bilanz muss passen Stichwort Bilanz. Als solche kann man das Konzept des ökologischen Fussabdrucks verstehen, der unseren Lebensstil in verschiedenen Bereichen erfasst. Heraus kommt die produktive Fläche in globalen Hektar (gha) beziehungsweise die Anzahl Erden, die nötig wäre, wenn alle Erdlinge so leben würden wie man selbst. Durchschnittliche Deutsche schlagen hier mit einem Wert von 2,6 Erden zu Buche, US-Amerikaner führen die Liste mit 6 Erden an, während Bangladesch mit 0,3 Erden das Schlusslicht macht.
Die gängigen Online-Rechner von WWF und Co. zum ökologischen Fussabdruck beinhalten eine frohe Botschaft für alle Bergaktiven: Ein Leben auf kleinem Fusse ist auch dann möglich, wenn es einen regelmässig in die Berge verschlägt. So bringt es beispielsweise mein Kletterkumpel, ein vegetarischer Viel-Bergsteiger mit kleiner Wohnung, bewusstem Einkaufs- verhalten und Verzicht auf Flugreisen auf einen Wert weit unter dem Durchschnitt (1,7 Erden; ein Wert von 1 ist in Industrienationen aufgrund der bestehenden Infrastruktur derzeit gar nicht erreichbar, selbst wenn man auf der individuellen Ebene ökologisch mustergültig leben würde). Und das bei 50–60 Bergtagen im Jahr! Natürlich bleibt der SUV–fahrende, bergsteigende Burger-Fan, der gerne in den Surfurlaub liegt, ein ökologisches Schwergewicht. Ganz ohne Verzicht geht es eben nicht.
Der Footprint allein greift jedoch zu kurz, um zu erfassen, ob Bergsteigen umweltbewusst macht. Das Wahlverhalten bei Abstimmungen mit Umweltbezug wird zum Beispiel nicht erfasst. Ob man sich eher für den Naturschutz engagiert, weil man gerne und oft in die Natur geht? Weil man wandert, klettert oder Powderturns zieht? Allgemein schwer zu beantworten und durch Negativbeispiele leicht falsifizierbar. Aber wenn man sich bei uns im Büro umschaut, lautet die Antwort: ja
Filmtipp von Tim Markloswki
Jumbo Wild
…Der Film nimmt uns dorthin, wo die Natur noch wild ist und auch so bleiben soll.
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