Kinder, die mit deformierten Köpfen oder ohne Augen zur Welt kommen und Erwachsene, die an Krebs, Nerven- und Stoffwechselkrankheiten leiden. In Vietnam keine Seltenheit, sondern seit den 1960er Jahren vermehrt bittere Realität. Schuld ist das dioxinhaltige Herbizid Agent Orange, welches während des Krieges ab 1961 während Jahren von den USA als Kampfstoff versprüht wurde. Unglaublich: Ein Bestandteil von Agent Orange ist heute als Wirkstoff von Pflanzenschutzmitteln auf dem Markt.

Das 2016 erschienene Buch «Krieg ohne Ende» vom Filme für die Erde-Mitglied Peter Jaeggi beleuchtet die Geschichte des Vietnamkrieges und gibt den Opfern eine Stimme und ein Gesicht. Wir haben mit ihm geredet.

Cover des Buches «Krieg ohne Ende» von Peter Jaeggi (Lenos-Verlag 2016, Foto: Roland Schmid).

Peter Jaeggi, die Porträts der Opfer und die Beschreibungen des Kriegs in Ihrem Buch berühren und machen stark betroffen. Wie haben Sie die Recherchen erlebt?

Die Begegnungen mit den Opfern und vor allem auch mit ihren Familien waren oft schwierig zu ertragen. Viele der wegen Agent Orange teilweise sehr schwer behinderten Menschen sind schon älter. Ihre betagten Eltern laufen am Limit. Institutionen, die Betroffene aufnehmen könnten, gibt es praktisch keine. Viele sind wegen der aufwändigen Betreuung ihrer Kinder selber krank geworden. Hilfe vom Staat gibt es kaum – obschon Vietnam es sich leisten könnte, mehr für die Opfer zu tun. Kritiker sagen, das Land lasse seine Agent Orange-Opfer im Stich. Sämtliche Opfer, denen wir begegnet sind, leben in armen und ärmsten Verhältnissen. Nie vergessen werde ich die Mutter von zwei stark behinderten Töchtern. Sie ist herzkrank und so schwach, dass sie nicht mit uns sprechen konnte. Diese Mutter ist zusammen mit einer ihrer Töchter auf dem Titelbild unseres Buches zu sehen.

 

Während des Krieges in Vietnam haben die USA rund 80 Millionen Liter giftiger Chemikalien versprüht, die Mehrheit davon Agent Orange. Die Menschen leiden nun schon in der dritten Generation unter den Folgen. Inwiefern sind sie heute, abgesehen von den erblichen Schäden, durch Agent Orange gefährdet? Können sie zum Beispiel die Gebiete bewirtschaften, über denen Agent Orange versprüht wurde, ohne ihre Gesundheit zu riskieren?

Es gibt noch immer Hotspots, die wegen Agent Orange stark mit Dioxin verseucht sind und nicht bewirtschaftet werden dürfen. Die kanadische Forschungsgruppe Hatfield führt eine Liste mit 33 Hotspots. Allerdings sind noch nicht alle ausreichend untersucht. Mehr als vierzig Jahre nach Kriegsende!

In Da Nang, einem der am meisten mit Dioxin verseuchten Orte in Vietnam, wird der Boden in einem aufwendigen Verfahren gereinigt. Was passiert im restlichen Vietnam? Welche Perspektive haben die Menschen?

Unter den 33 erwähnten Hotspots gibt es welche, deren Dioxinwerte internationale Standards um das Mehrhundertfache übersteigen. Die laufende Sanierung von Da Nang kostet vermutlich um die hundert Millionen Dollar, hauptsächlich finanziert von den USA. Wer die Entgiftung der restlichen stark verseuchten Hotspots bezahlen soll, ist derzeit völlig offen. Das wird nicht ohne internationale Hilfe gehen. Gefährlich ist die Geschichte vermutlich nur für die Menschen, die in unmittelbarer Nähe dieser verseuchten Orte leben. Allerdings sind die gefährlichsten abgesperrt. Da sich aber Dioxin im Boden anreichert und kaum abgebaut wird, könnten Grundwasserströme kontaminiert werden.

Dioxin-Sanierung in Da Nang (Foto: Roland Schmid).

Wie viel weiss man über die Auswirkungen auf die Natur, nebst dem unmittelbaren Absterben der Vegetation? Wie haben sich die Ökosysteme verändert?

Es gibt Orte, an denen der Chemiewaffeneinsatz irreparable Schäden an Ökosystemen verursachte. Der vietnamesische Ökologe Vo Quy prägte in den 1960er Jahren für dieses Kriegsverbrechen den Begriff Ökozid. In der Provinz Quang Tri in der ehemaligen entmilitarisierten Zone in Vietnam gab es vor dem Krieg grosse Naturwälder. Nach dem Krieg waren zwei Drittel davon zerstört. Um Wasser und Böden zu schützen, begann die Regierung nach 1975 mit der Wiederaufforstung. Mit der Vernichtung ging auch der Artenreichtum von Flora und Fauna verloren. Früher lebten in diesen Naturparadiesen Tiger, Malaienbären und Makaken. Die vernichteten Wälder sorgten vielerorts für grosse Bodenerosionen. Die Wunden in der Landschaft sind noch heute gut sichtbar.

Eine Tafel warnt vor Blindgängern, einer weiteren Spätfolge des Vietnamkrieges (Foto: Roland Schmid).

Monsanto war während des Krieges einer der Hauptproduzenten von Agent Orange und verkauft heute das Herbizid Glyphosat. Weil Unkräuter dagegen resistent geworden sind, produziert Monsanto einen Herbizid-Wirkstoff, der einen Bestandteil von Agent Orange (2,4D) enthält. Die entsprechenden Pflanzenschutzmittel sind auch in der Schweiz sowie in der ganzen EU erhältlich. Neu gibt es Nutzpflanzen, die gentechnisch gegen 2,4D resistent gemacht wurden. Bis jetzt sind sie nur in den USA zugelassen. In Europa sind Bewilligungsverfahren auf dem Weg. Monsanto behauptet, die 2,4D-Wirkstoffe seien unbedenklich. Wie beurteilen Sie das?

Wer behauptet, solch giftige Bestandteile seien unbedenklich, sagt nicht die Wahrheit. Glyphosat ist Monsantos wirtschaftliches Rückgrat. Entsprechend wehrt sich das Unternehmen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und begegnet Kritiken mit oft gekauften «wissenschaftlichen» Gegenstudien. Man sollte auch immer daran denken, dass es sich bei Schadstoff-Grenzwerten um politische und wirtschaftliche Werte handelt. Zu tiefe Grenzwerte sind nicht gewinnbringend. Die Industrie argumentiert aber mit genau solchen Grenzwerten. Dem Laienpublikum wird so weisgemacht, dass die Geschichte ungefährlich sei. Die derzeit als unbedenklich geltenden, lebenslänglich duldbaren Belastungen basieren auf der Annahme, dass Glyphosat so sicher sei wie Tafelsalz. Das sagte mir Angelika Hilbeck im Interview fürs Buch. Sie ist Gentechnikexpertin und Leiterin der Forschungsgruppe zu Umweltbiosicherheit und Agrarökologie an der ETH Zürich. Sie sagte dies, weil sich die Behörden standhaft weigern würden, zu akzeptieren, dass diese Produkte teilweise auch weit unter den derzeit als unbedenklich geltenden Werten als wahrscheinlich krebserregend gelten.

 

Peter Jaeggi, Krieg ohne Ende, Fotos von Roland Schmid und National Geographic. 298 Seiten. ISBN 978 3 85787 473 4, Lenos Verlag 2016.

Mehr Informationen zum Buch sowie Bestellung: https://www.agentorange-vietnam.org/

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