Herzlichen Dank für diesen Gastbeitrag von Helga Fitzner, freie Journalistin aus Deutschland.

Chronik einer bedrückenden Auseinandersetzung

„Die rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst“ ist eine Kinodokumentation der Filmemacherin Karin de Miguel Wessendorf, die seit 2015 den Kampf um ein ganz besonderes Stück Natur mit der Kamera begleitet hat. Genau genommen ist das kurz „Hambi“ genannte Waldgelände nur noch 550 Hektar groß und einer der letzten „Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Wälder“ Deutschlands. Es handelt sich um ein uraltes ökologisches System, das für den Erhalt der Artenvielfalt und nicht zuletzt für das Klima bedeutsam ist, weswegen seit langem Umweltschützer versuchen, die für unnötig erachtete Rodung zugunsten des Kohletagebaus zu verhindern. Die Lage wird aus der Perspektive vier unterschiedlicher Waldschützer geschildert: Der Naturführer und Waldpädagoge Michael Zobel macht regelmäßig Führungen durch den Hambacher Forst und ist häufiger Interviewpartner für die Medien, Clumsy lebt seit Jahren als einer der Baumbesetzer in einem Baumhaus, so dass es vor einer Rodung erst zu einer Räumung kommen muss und keine Nacht- und Nebelaktion stattfinden kann, und Antje Grothus, eine Anwohnerin aus Buir, engagierte sich zwischenzeitlich sogar politisch.

Zu Beginn geht es um die Auswirkungen des Tagebaus, die für Mensch und Natur verheerend sind. Es wird so tief gegraben, dass der Kölner Dom dreimal aufeinander gestapelt da herein passen würde und das auf einer riesigen Fläche. Dafür wurden schon viele Menschen umgesiedelt und Dörfer abgerissen und was das für die Betroffenen bedeutet, schildert de Miguel Wessendorf anhand des Ortes Immerath, aus dem zu Beginn der Dreharbeiten die meisten schon fort gezogen sind. Die Läden, das Krankenhaus, die Häuser, alles wird nach und nach dem Erdboden gleich gemacht. Dazu gehört auch der Immerather Dom, dessen Zerstörung in eindrücklichen Filmbildern festgehalten wurde. Der vierte Protagonist ist der Anwohner Lars Zimmer; der wohnte damals immer noch in Immerath und glaubt, wenn die meisten geblieben wären, hätte der Abriss des Dorfes verhindert werden können. Ein Schild mit der Aufschrift „Heimat“ war an seiner Tür angebracht, doch diese haben die Immerather mittlerweile verloren.

Die Regisseurin hat innerhalb des Films auf einen erklärenden Kommentar völlig verzichtet, die Bilder sind selbsterklärend und die Aussagen der Involvierten in die Kamera auch. Hauptstreitpunkt ist die Ansicht, dass der Braunkohletagebau gar nicht mehr nötig sei, weil es genug Alternativen gäbe. Der Energiekonzern RWE ordnete die Räumung des „Hambi“ VOR einem Termin an, an dem die Bundesregierung über den Kohleausstieg beraten wollte. RWE hätte diese Sitzung abwarten müssen, meinten die Umweltschützer. Tat der Konzern aber nicht und ließ mit schwerem Gerät anrücken. Das hat den Beschützer*innen des „Hambi“ so viel Sympathie eingebracht, dass sich viele mit ihnen solidarisierten. Alles steuerte auf einen gewaltsamen Konflikt zu.

Es war vorher schon immer wieder zu Demonstrationen gekommen, von denen die auffälligste „Die rote Linie“ im August 2017 war. Tausende in rot gekleidete Menschen stellten sich in einer kilometerlangen Linie schützend auf, die ein Symbol für die Grenze der gefährlichen Erderwärmung sein sollte, die nicht überschritten werden dürfe. Sie forderten einen sozialverträglichen Kohleausstieg und Konzepte zum Strukturwandel. Der Tagebau sei noch bis 2048 nötig, die Energieversorgung sei sonst gefährdet, hieß es damals von RWE. Es kam im Laufe der Zeit zu Übergriffen, Aggressionen und Verletzungen auf beiden Seiten, weil sich die Lage immer mehr zuspitzte. Und dann, im September 2018, rückten 31.000 Polizist*innen mit Tränengas, Schlagstöcken und Hubsteigern gegen 100 Baumbesetzer vor. Dabei kam es zu einem tragischen Unfall, als ein junger Journalist im Einsatz in die Tiefe stürzte und seinen Verletzungen erlag. Die Räumung wurde vorerst gestoppt und den Baumbesetzern die Schuld an dem Unfall zugeschoben. Später musste die Polizei zugeben, dass in dem Baumhaus, zu dem der Journalist unterwegs war, eine Polizeiaktion stattgefunden hatte. Trotz dieses Ereignisses ließ RWE kurze Zeit später ein riesiges Polizeiaufgebot mit der Räumung fortfahren. Doch da standen statt der erwarteten 20.000 tatsächlich 50.000 Menschen auf einer Fläche vor dem Wald, um für den Erhalt des „Hambi“ zu demonstrieren.

Karin de Miguel Wessendorf hat die Seite von RWE und deren Befürwortern in der Politik durchaus berücksichtigt, um möglichst ausgewogen zu berichten trotz ihrer erkennbaren Sympathie für die Aktivist*innen. So kommen Armin Laschet, der Ministerpräsident von NRW, der Innenminister von NRW Herbert Reul, Rolf Martin Schmitz von RWE, Guido Steffen, der Pressesprecher von RWE, durchaus im Film vor. Aber sie überzeugen einfach nicht und im Lauf der Jahre kippt das. Die Regisseurin erinnert sich: „Während der Dreharbeiten habe ich beobachtet, wie immer mehr Menschen in den Konflikt hineingezogen wurden. Sicher hat die Unnachgiebigkeit von RWE und der Landesregierung einen beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung. Umweltschützer und Bürgerinitiativen hatten die ehemalige Autobahn A4 am Tagebau Hambach zur roten Linie erklärt: an dieser Linie müsste der Tagebau halt machen, wenn Deutschland die Klimaziele erreichen soll. Doch dies ist nicht die einzige rote Linie, die überschritten wurde: jedes Mal, wenn wirtschaftliche Interessen teilweise mit Polizeigewalt durchgesetzt wurden; jedes Mal, wenn sich das Gefühl von Ohnmacht eingestellt hat; jedes Mal, wenn politische Entscheidungen nur noch auf Unverständnis gestoßen sind, ist der Widerstand gewachsen“.

De Miguel Wessendorf folgt dem Geschehen mit der Kamera vor und in die Gerichte, in die Aktionärsversammlung von RWE, in eine Tagung der „Kohlekommission“, der zwischenzeitlich auch Antje Grothus aus Buir angehörte. Dadurch, dass es keinen Kommentar gibt, können sich die Zuschauer weitgehend ihre eigene Meinung bilden und sind durch die Kamera mehr oder weniger mitten drin. Angefangen mit einer Gruppe von 20 bis 30 Baumbesetzern wurde der Hambacher Forst allmählich zu einem Kristallisationspunkt einer ganzen Bewegung. Eine besonnene und relativ ausgewogene Justiz hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die Lage nicht noch schlimmer eskalierte.

Nach Drehschluss hat sich unabhängig vom Hambacher Forst ein breiterer Widerstand  formiert, darunter Fridays for Future. RWE beharrt immer noch auf dem klimaschädlichen Tagebau und die Räumung des Ortes Kerpen-Manheim ist schon fast abgeschlossen. Die Entwidmung der dortigen Kirche wurde am 17. Mai 2019 vorgenommen, was eine Voraussetzung für deren Abriss ist. Auch der Hambacher Forst ist noch nicht endgültig gerettet, denn eine Art Stillhalteabkommen gilt nur bis 2020.

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